“…von Dampfmaschinen, Zwangsräumungen und Kaufangeboten”
Die Firma Grether & Cie. wurde 1873 gegründet. Sie betrieb ihre “Mechanische Werkstätte” in dem Gebäude, das heute Maschinenhalle genannt wird.
In der Gießereihalle befand sich seit 1888 die zweitgrößte Eisengießerei Freiburgs. Hergestellt wurden dort vor allem Löschmaschinen, Hydrantenwagen, Pumpen, Schlauchkupplungen und Dampfmaschinen. Rohmaterialien waren Stahl, Kupfer, Messing, Zinn und Blei. Um 1900 arbeiteten ca. 100 Menschen bei der Firma Grether & Cie.
1944 wurde nach dem großen Bombenangriff auf Freiburg die Gießereihalle geschlossen. Sämtliche Firmenunterlagen waren bei dem Angriff vernichtet worden. So lassen sich über die Produktion im 2. Weltkrieg keine genauen Angaben machen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Rüstungsteile produziert wurden. Belegt ist, dass die Firma Zwangsarbeiter*innen angefordert hat. Sieben Jahre später wurde auch die Maschinenhalle geschlossen. Das bedeutete das entgültige Ende der Firma Grether &Cie.
Die Erbengemeinschaft Kaffenberger vermietete als neuer Eigentümer des Geländes die Hallen und Räume an verschiedene Kleinbetriebe. So fand man dort bald eine Näherei, eine Autowerkstatt, eine Zylinderschleiferei, eine Kupferschmiede, ein Lager für Luftradiatoren u.v.a.m.
1977 vermieteten Kaffenbergers einen Teil des Lagergebäudes an das erste Alternativprojekt, nämlich an das Gebrauchtwarenlager. Seitdem ist das Lager auf dem Grethergelände zu finden, heute in der Maschinenhalle. Damals jedoch hatten die Kaffenbergers anderes im Sinn: sie wollten den Mieter*innen kündigen, die Gebäude abreißen und das Gelände gewinnträchtig nutzen.
1979 wurde der Stadtteil im Grün zum Sanierungsgebiet erklärt. Damit war klar, dass ab jetzt der Gemeinderat mitentscheiden konnte, was aus dem Grether Gelände werden sollte. Die Gegenbewegung (gegen den Abriss) organisierte sich: 1980 wurde zum Erhalt der Gebäude der Verein “Leben und Arbeiten in der Grethergelände” gegründet.
Kaffenbergers versuchten gegen das Gebrauchtwarenlager die Zwangsräumung durchzusetzen. Doch der Gretherverein erreichte, daß der Gemeinderat den Erhalt der Grethergelände und den Ausbau der Maschinenhalle auf der Grundlage des Sanierungsziels (Schaffung von preiswertem Wohn und Gewerberaum) beschloss.
Im Mai 83 kaufte die Stadt Freiburg das gesamte Areal den Kaffenbergers ab. Der Gretherverein stellte für die Maschinenhalle ein Finanzierungskonzept auf. Bei diesen Überlegungen und Diskussionen entstand die Grundidee des heutigen Mietshäuser Syndikats. Das Projekt Maschinenhalle sollte künftige Hausprojekte sowohl finanziell, als auch ideell unterstützen.
Es folgten 5 Jahre zäher Verhandlungen zwischen der Stadt Freiburg und dem Verein Grether Baukooperative, bis 1988 endlich der Erbpachtvertrag für das Grundstück der Maschinenhalle, sowie der Kaufvertrag für das Maschinenhallengebäude auf dem Tisch lag. Diese lange Zeit nutzte die Grether Baukooperative, um die Maschinenhalle in Selbsthilfe und mit zinsgünstigen Krediten zu Sozialwohnungen und Räumen für Projekte und Kleingewerbe auszubauen.
Parallel zur Übernahme der Maschinenhalle entwickelte sich der Streit um die Nutzung der Gießereihalle. Die Stadt Freiburg hatte diesbezüglich verschiedene Pläne, z.B. wollte sie die Gießereihalle zu einer Markthalle umbauen. Der AAK (Arbeitskreis Alternative Kultur) jedoch wollte aus der Halle ein alternatives Kulturzentrum machen. Diese Pläne wurden letztendlich durch einen schwerwiegenden Fehler der Stadt zunichte gemacht. Im Bebauungsplan war vergessen worden, die Gießereihalle als Veranstaltungsort auszuweisen. Da mittlerweile auf dem angrenzenden Faulergelände von der Baufirma Adrian & Koch Neubauten errichtet worden waren, konnte Adrian & Koch mit ihrem Einspruch die kulturelle Nutzung der Halle verhindern.
1988 wurde durch die Erkrankung eines Bewohners der Fauler Arbeiterhäuser zum ersten mal bekannt, daß das gesamte Grether Gelände mit Blei- und Kadmiumstäuben kontaminiert ist. In den folgenden Jahren wurden im Grün und anderen Stadtteilen Freiburgs einige hundert Untersuchungen von Bodenproben, Bodenstaubproben und Schwebstaubproben, sowie industriehistorische Recherchen durchgeführt. Die sehr hohe Schwermetallbelastung der Gießereihalle führte dazu, daß diese im September 89 geschlossen werden mußte.
Wieder drohten Abrisspläne, jetzt die der Stadt Freiburg. 1991 wurde in Verbindung mit dem Sanierungskonzept des TÜVs eine Kostenrechnung für die Altlastensanierung der Grether Gebäude durch die Stadtbau GmbH aufgestellt.Daraus ging hervor, dass der Preis für die Altlastensanierung für den Fall des Abrisses der Gebäude ebenso hoch wäre, wie der für den Erhalt der Gebäude: nämlich 1,9 Mio. DM, da in beiden Fällen eine Altlastensanierung durchgeführt werden muß.
Die mittlerweile gegründete Initiative Grether Ost trat im Sommer 1991 mit ihrem Kaufangebot an die Öffentlichkeit. Sie wollte die Kosten und die Durchführung der Altlastensanierung übernehmen und somit die Gebäude und das Grundstück (Wert 1,9 Mio. DM) für eine symbolische Mark erwerben. Noch zweieinhalb Jahre dauerten die Verhandlungen mit der Stadt Freiburg, bis im Jahr 95 der Kauf über die Bühne gegangen war. Der Preis: etwa 500.000 DM und die Verpflichtung, die Altlastensanierung innerhalb von zwei Jahren zu finanzieren und durchzuführen.
Leben und Arbeiten in der Gretherfabrik
“Die Vision von damals hat sich sicherlich verändert
Am Anfang war der Trödel
Im April 77 mieteten 14 Leute Räume in der Grether-Fabrik an und eröffneten ein Gebrauchtwarenlager. Diese hatten weit mehr als nur verstaubten Ramsch im Kopf: Sie wollten den Sprung aus der Lohnarbeitsgesellschaft wagen und statt dessen gemeinsam und langfristig etwas Sinnvolles tun, “ohne Chefs und Untergebene arbeiten, mit Händen UND Kopf, möglichst wenig und wenn schon, dann mit Spaß”. Es entstand das erste Alternativprojekt auf dem Grether-Areal.
Damals sah “das Grün” noch bedeutend anders aus als heute. Viele kleine und mittlere Betriebe waren hier ansäßig. Die Wohnhäuser waren z.T. von den Eigentümern heruntergewirtschaftet, die Mieten betrugen im Durchschnitt 3,50 DM/qm. Viele StudentInnen, MigrantInnen und ältere Leute waren hier zuhause. Eine Mischung, die der Stadtverwaltung nicht sonderlich behagte. Sie erklärte das Viertel zum Sanierungsgebiet. Ein reines Wohnviertel sollte entstehen, das Gewerbe ausgelagert werden und die Grethergelände – je nach Planungsvariante – ganz oder teilweise abgerissen werden.
Doch viele BewohnerInnen fürchteten den Kahlschlag im Viertel, extreme Mieterhöhungen und die Vertreibung aus ihren Wohnungen. Und manche hatten noch andere Ideen. Sie wollten das Beieinander von Wohnen und Betrieben erhalten, lehnten die Zweiteilung des Lebens in Arbeit und Freizeit ab.
Und so gründeten 20 Leute 1980 den Verein “Leben und Arbeiten in der Gretherschen Fabrik”. Der Verein wollte die Grether-Fabrik als “letztes komplett erhaltenes Industriedenkmal des 19.Jh.” erhalten und zu einem Versorgungs- und Begegnungszentrum für BewohnerInnen des Grüns quer durch die Generationen und Nationalitäten machen. “Lebensfreundliche Wohn- und Arbeitsstätten” sollten entstehen: ein Kinderladen, kleine Handwerksbetriebe, ein Café als Begegnungsraum, Betriebe zur Verbesserung der Infrastruktur wie Bäckerei, Schuster, Anwalts- und Arztpraxis, Beratungseinrichtungen und Räume für Kulturveranstaltungen. Zusammen mit anderen BewohnerInnen des Grüns wurde gegen die drohende Abriß- und Luxussanierung gekämpft, um die damit verbundene Vertreibung finanziell schwächerer Schichten und kleiner Gewerbebetriebe zu verhindern.
Ab Sommer 1981 forderte der “Arbeitskreis Alternative Kultur”(AAK), ein Zusammenschluß alternativer Kulturgruppen, zusammen mit dem Grether-Verein die Gießerei- und Zwischenhalle als Ort für Aufführungen, Proben, Lager und Werkstätten für Requisiten. Der AAK suchte für seine kulturelle Arbeit ebenfalls einen Raum, der “Ausdruck und Bestandteil ihrer direkten Lebens- und Arbeitszusammenhänge” sein sollte: “Alternative Kultur muß dort stattfinden, wo sie lebt.”
Gestärkt durch die breite Häuserkampfbewegung Anfang der 80-er Jahre und dank langem Atem hatte der Grether Verein Erfolg. Nach zähen Verhandlungen ging die Maschinenhalle 1988 in den Besitz der Grether Baukooperative über. Die Gießereihalle wurde dem AAK für ein soziokulturelles Zentrum zugesprochen. Bis zum endgültigen Vertragsabschluß mit der Stadt fanden dort mehrere Jahre lang Konzerte, Theateraufführungen, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen, Feste und politische Veranstaltungen statt, bis 1989 die Schwermetallbelastung und juristische Einsprüche aus der Nachbarschaft dem kulturellen Leben ein jähes Ende setzte. Die Halle wurde geschlossen, der östliche Teil der ehemaligen Grether Fabrik war erneut vom Abriß bedroht. Doch auch dieses Mal schaffte es die neu gegründete Initiative Grether Ost, den Abriß und spekulativen Verkauf zu verhindern. 1995 ging auch die Gießereihalle, die Schmiede und das Lagergebäude in den Besitz der Mieter*innen über.
Die Gretherprojekte heute
“Etwas hat überlebt”
Seit den bewegten Anfangszeiten hat sich vieles geändert. “Das Grün” ist fast nicht mehr wiederzuerkennen. Zwischen IHK-Gebäude, Kongresszentrum, Bahnhofsneubau, Hotel- und Kinoklötzen und neuerbauten Wohnanlagen für den gehobenen Bedarf erscheint die Grether-Fabrik heute als anachronistisches Überbleibsel, nicht nur aus baulichen Gründen. Die links-alternative Bewegung, aus der die Grether-Projekte entstanden sind, ist weitgehend verschwunden oder hat sich in gesellschaftlichen Nischen etabliert.
Auch auf dem Grether-Gelände ist die Zeit nicht stehen geblieben. Ob durch verschärfte materielle Zwänge, veränderte persönliche Lebensperspektiven oder aus dem Bedürfnis, die soziale Enge des Ghettos zu verlassen und wieder mehr im Bezug zur gesellschaftlichen Realität zu leben – die Trennung von Arbeit und Leben, Wohnen und Arbeiten hat sich weitgehend wieder durchgesetzt.
Die Ideen vom selbstbestimmten kollektiven Zusammenleben sind geblieben, entgegen den gesellschaftlichen Tendenzen von Vereinzelung. Auch heute arbeiten die Betriebe ohne Chef*in, werden Entscheidungen gemeinsam gefällt, auch wenn dies im Alltag durch die wachsende Zahl und damit auch Verschiedenheit der Mieter*innen nicht immer einfach ist.
Nach wie vor ist das Grether-Areal Ausgangspunkt für politische und kulturelle Initiativen. Feministische Gruppen und Projekte haben ihre Räume hier. Radio Dreyeckland, das älteste nichtkommerzielle Radio, schickt seit Jahren seine Sendungen von hier aus über Äther. Das Mietshäuser Syndikat trägt die Idee des selbstorganisierten Mietshausprojektes weiter und greift nach wie vor in städtebaupolitische Entwicklungen ein. Das Strandcafé wird von verschiedensten Gruppen (Rosa Hilfe, Antifa, feministische Gruppen, Volxküche…) für Treffen und öffentliche Veranstaltungen genutzt. Vor Demonstrationen ist oft reges Leben im Innenhof der Grethergelände: Transparente werden gemalt, die Megaphonanlage getestet, Flugblätter gestapelt.
Die Grether-Fabrik ist sicher nicht – wie anfangs erhofft – zum Versorgungs- und Begegnungszentrum des Viertels geworden. Trotzdem kommen durch die Räume der feministischen Projekte, das Gebrauchtwarenlager, die Kindertagesstätten – und in Zukunft die Fahrradwerkstatt, den Gemischtwarenladen etc – viele unterschiedliche Menschen auf das Areal.
Auch für den alternativen Müßiggang gibt es genügend Möglichkeiten. Im Sommer finden Feste verschiedener politischer Gruppen mit Flohmärkten, Konzerten usw. statt, bei denen sich der geräumige Innenhof mit hunderten von Menschen füllt. Das Strandcafé – seit Bestehen der Grether-Initiative ein Dorn im Auge der Behörden – bietet Bewohner*innen und Freund*innen des Projektes die Möglichkeit, im geschützten Innenhofbiotop die Nase in die Sonne zu strecken, die vorhandenen Zeitungen zu lesen, zu plaudern oder der lärmenden und staubenden Baugruppe beim Arbeiten zuzuschauen. Um dieses Flair auch für die kommenden Generationen zu erhalten, hat ein Förderverein das Strandcafé zum Kulturdenkmal erklärt, in dem sich weiterhin Menschen ohne kommerzielle Zwänge treffen können.
Mit dem weiteren Ausbau bei Grether Ost werden neue Wohn- und Arbeitsräume entstehen, die das Leben auf dem Grethergelände noch vielfältiger und gleichzeitig weniger überschaubar machen. Doch solange hier Menschen wohnen und arbeiten, die nach Alternativen zu herkömmlichen Lebens- und Arbeitsformen suchen, wird es auch auf Dauer gelingen, die Verantwortung für das Projekt und die Gestaltung des Zusammenlebens kollektiv und gleichberechtigt zu bestimmen.